Interview mit Katrin Hopfensitz, Ergotherapeutin in der Marianne-Strauß-Klinik am Starnberger See und Yogalehrerin von Yoga Inklusion
- Mai 2022
Wie ist Ihre Einstellung zum Yoga?
Yoga ist für mich keine angesagte Modeerscheinung oder Wellness, sondern eine spirituelle Praxis, ein Weg der Bewusstseinserweiterung, das Anstoßen von transformierenden Reinigungsprozessen, die eine Veränderung hervorrufen. Es ist aber auch eine Wissenschaft, die sich über Jahrtausende einfach bewährt hat. Ich kann mich darauf verlassen, wenn ich z.B. Brustkorbweitende Asanas (das sind die körperlichen Übungen), sog. Herzöffner einnehme, ich eine Offenheit im Herzen und im Geist spüren kann. Ein Kopfstand lässt mich nicht nur körperlich sondern auch geistig die Perspektive ändern. Es ist vorhersehbar, dass ich ruhiger werde, wenn ich eine Vorwärtsbeuge einnehme oder mich auf die verlängerte Ausatmung konzentriere. Denn diese Übungen beruhigen nachweislich den sympathischen Anteil meines Nervensystems. Hier sieht man: Yoga ist so viel mehr, als nur Asanas, wie es leider oftmals in den Medien in Erscheinung tritt.
Was macht Yoga mit dem menschlichen Geist und Körper?
Der eigentliche Sinn der Körperarbeit im Yoga, dient der Reinigung und das Stark-Machen des Körpers als Vorbereitung zur Meditation. Die alten Yogis im fernen Indien haben vor tausenden von Jahren festgestellt, dass es sich leichter in die Meditation finden lässt, wenn man sich vorher (auf der Matte) betätigt hat. Wir verbinden Atmung und Bewegung, kreieren eine Einheit, um im gegenwärtigen Moment zu sein, den Geist zur Ruhe kommen zu lassen und so letztendlich einen glückseligen Zustand zu erfahren. Yoga will Verbindung schaffen. Verbindung zwischen Körper, Geist und Seele, aber auch zur Natur, der Erde, zum Yogalehrer/zur Yogalehrerin, zur Gruppe in der ich übe und letztendlich Verbindung zum großen Ganzen.
Welche Vorteile hat Yoga als Konzept für Menschen mit Behinderungen?
Yoga wirkt entspannend, führt zu einer besseren, aufrechteren Körperhaltung, zu mehr Körperbewusstsein, Gelassenheit und zur Annahme des eigenen Selbst, im Sinne von „Ich nehme mich so an wie ich bin, mit all meinen Einschränkungen, denn ich bin wertvoll.“ Gemäß der Yoga-Philosophie ist die Seele unsterblich und wohnt in diesem menschlichen Körper, um etwas zu erfahren. Der Yogaübende hat die Möglichkeit, in einer Yogastunde ganz bei sich zu sein, Ruhe zu finden, den Körper zu dehnen und zu stärken. Teilnehmer und Teilnehmerinnen mit körperlichen Einschränkungen sind oft stolz darauf, zu sehen was möglich ist oder die Körperteile zu spüren, die sie vorher nicht gespürt haben. Denn Yoga aktiviert die Lebensenergie (Prana), die durch die kleinen Kanäle unseres Körpers fließt. Hindernisse, viele Gedanken über Probleme und alles Drumherum werden während der Yogapraxis ausgeblendet, was sehr heilsam sein kann. Meistens fühlt man sich nach einer Yogastunde besser als vorher.
Wie unterscheidet sich Yoga von anderen Gymnastik- und Sportarten?
Im Yoga liegt der Schwerpunkt auf die Verbindung zwischen Körper – Geist – Seele. Atmung und Bewegung werden miteinander verbunden, so dass der Geist ruhiger wird. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen werden auch immer aufgefordert nach innen zu lauschen. Viel Wert liegt darauf zur Ruhe zu kommen, alles um sich wahrzunehmen und in den Körper einzutauchen. Es ist ein „Date mit meiner Seele“, mit meinem tiefsten Inneren. Eine Yogastunde sollte immer ganzheitlich sein und die Elemente: Pranayama (Atemtechnik), sowie Meditation nicht ausklammern. Auch ein Savasana (das ist die Endentspannung) darf niemals ausgelassen werden, worin sich auch eine Yogapraxis von herkömmlichen Fitnessangeboten unterscheidet.
Wie würden Sie die Erfahrungen beschreiben, die Sie mit Menschen mit Beeinträchtigungen gemacht haben?
Meine Erfahrungen mit Yogastunden für Menschen mit Beeinträchtigung sind durchweg positiv. Es kommt hauptsächlich darauf an wie ich Asanas adaptiere oder vereinfache. Für den Körper ist es egal ob eine Drehhaltung auf dem Boden oder im Rollstuhl ausgeführt wird, die Wirkung ist die gleiche. Auch wenn manche meiner Multiple Sklerose Patienten noch so eingeschränkt sind und kaum noch eine Bewegung der Arme und Beine möglich ist, können wir gemeinsam Yoga praktizieren in dem wir schauen welche Bewegung noch geht, z.B. die des Kopfes oder Schultergürtels und diese mit der Atmung verbinden. Hinzukommen bei Schwerstbetroffenen Pranayama und Meditation.
Bei meinen Stuhlyogastunden in einer Gruppe von bis zu 8 Patienten wird zwar die körperliche Praxis oft als anstrengend und ungewohnt wahrgenommen, aber so geht es Menschen ohne Beeinträchtigungen auch und umso leichter findet man in die Stille der Meditation und genießt die Endentspannung am Ende der Praxis noch viel mehr. Ich weise immer darauf hin auf seine Grenzen zu achten und sich zu erlauben auch mal eine Pause zu machen. Am Ende der Stunde blicke ich dann in glückliche und entspannte Gesichter und sehr oft kommt ein positives Feedback zurück, wie gut es getan hat. Wenn nach der Stunde eine ganz friedliche Stimmung im Raum herrscht, alle noch ganz leise sind, alle miteinander verbunden und das Göttliche fast schon zu greifen ist, dann merke ich, dass die Stunde gelungen war und das ist das pure Glück für mich.
Wie sieht eine Yogastunde aus?
Eine Yogastunde, sei es auf der Matte oder auf dem Stuhl, sieht für Erwachsene (bei Kindern gibt es Unterschiede) immer ähnlich aus. In manchen Yogatraditionen wird zu Beginn noch ein philosophisches Thema vorgestellt oder ein Fokus gesetzt, welche Qualität man besonders heute üben möchte (z.B. Durchhaltevermögen, liebevolle Annahme oder z.B. hauptsächlich Rückbeugen) und oft wird gemeinsam die heilige Silbe „om“ gesungen.
Wichtig ist erst mal im Raum, aber auch in seinem Körper anzukommen. Denn jeder schlüpft aus den unterschiedlichsten Situationen in die Yogastunde hinein. Dann wird es ganz still, jeder hat seinen Sitz eingenommen, die Augen sind geschlossen (wenn man das möchte) und zuerst wird der Körper nur wahrgenommen und es folgt die Konzentration auf den Atem. Ich lade die TeilnehmerInnen ein, zu spüren: wie es ihnen gerade körperlich, geistig und emotional geht und dass sie sich den Grund hervorrufen können, warum sie in die Yogagruppe gekommen sind. Im Anschluss werden die Augen wieder geöffnet und mit leichten Bewegungen, ein sog. „Warm-Up“, der Körper aufgewärmt, auch um Verletzungen vorzubeugen. Als Hauptteil werden verschiedene Asanas eingenommen mal im sog. Flow mit fließenden Bewegungen immer verbunden mit der Atmung und auch mal statisch, um in seine Kraft zu kommen. Beim Stundenaufbau (Sequenzing) achte ich immer auf eine schöne Balance aus Vorbeugen, Rückbeugen, Seitbeugen, Drehungen und Umkehrhaltungen sowie eine Pranayama Einheit. Langsam wird der Fluss der Energie wieder reduziert und schließlich findet die Endentspannung und eine Mediation im Sitzen statt.
Wie kann man Yoga für alle praktizierbar machen?
Wenn jemand von Yoga hört, dann ist sofort das Bild da: „Das sind doch die Leute, die sehr beweglich sind und irgendwelche Verrenkungen machen können“ Dadurch kommt die Angst und Abneigung, dass der eigene Körper zu solchen Leistungen gar nicht fähig ist. Muss er auch nicht! Man kann immer einen Weg finden, Asanas umzugestalten, so dass auch ungeübte Körper oder ein Körper mit Einschränkungen in den Genuss einer Yogapraxis kommen kann. Modifikation der Asanas auf den Stuhl, vereinfachte Versionen oder Zunahme von Hilfsmitteln (Blöcken, Decken, Kissen, Gurte) erleichtert die Teilnahme am Yoga. Und sogar wenn das mit den Asanas gar nicht geht, kann man Pranayama und Meditation üben, um das gleiche Ziel zu erreichen. Yoga ist vielfältig genug, um für alle praktizierbar zu machen. Einfach mal ausprobieren, einfach loslegen! Ich würde mir wünschen, dass es immer mehr inklusive Angebote für Menschen mit einer Körperbehinderung, geistigen Behinderung, Adipositas, Altersschwäche oder Sehbehinderung gibt. Nicht nur in den Kliniken oder Einrichtungen, sondern auch in den gängigen Yogastudios, einfach um Inklusion zu leben. So dass sich nach der Yogastunde die Teilnehmerin im Rollstuhl mit der Teilnehmerin aus der darauf folgenden Fortgeschrittenen Stunde bei einem Tee unterhält. Yoga sollte in dem Hinblick zugänglicher sein und wie schon zu Beginn erwähnt keine Livestyle Erscheinung für die Hippster Gesellschaft in bunten Leggins und durchtrainiertem Körper, sondern als spirituelle Praxis für alle Menschen gesehen werden.
Was braucht man, um Yoga praktizieren zu können?
„Jeder der atmet, kann Yoga praktizieren.“ Das hat Sri K. Pattabhi Jois, ein großer Lehrer aus Indien gesagt. Du brauchst einen Körper, sonst nichts 😉 Aber natürlich sind Hilfsmittel wie Stühle oder eine Matte, Kissen, eine Decke, zwei Blöcke und ein Gurt sinnvoll, um den Körper vor Verletzungen zu schützen.
Was waren Ihre größten Herausforderungen in der Arbeit mit Menschen mit Beeinträchtigungen?
Wenn ich an meine PatientInnen denke, die ich in einer kleinen Gruppe auf der Yogamatte unterrichte, dann ist die größte Herausforderung für mich, dass jeder Mensch unterschiedliche Symptome mitbringt. Das heißt, nicht alle können zum Beispiel die Haltung des herabschauenden Hundes einnehmen. Dann liegt es an meiner Erfahrung, an meinem Können und meiner Kreativität, die Haltung so zu modifizieren (und das möglichst schnell, damit der Fluss der Stunde nicht gestört wird), damit alle TeilnehmerInnen eine gute Erfahrung in der Haltung machen können und keiner sich verletzt. Ich muss auch, egal ob in Stunden auf der Matte oder auf dem Stuhl ein Gespür dafür haben, wie viel Anstrengung ich meinen PatientInnen oder SeniorInnen zumuten kann und wann der Moment für ein Innehalten und Nachspüren angebracht ist.
Wie wird Yoga als Angebot von Ihren Klienten und Klientinnen angenommen?
Meine Yogagruppe in der Klinik ist immer gut besucht. Teilweise lassen Patienten andere Termine ausfallen, damit sie zur Gruppe kommen können. Und viele melden sich bei Folgeaufenthalten wieder für die Yogagruppe an, weil es ihnen so gut getan hat. Auch in der Einzeltherapie gibt es immer wieder Patienten, auch Schwerbetroffene, die sich eine Yogastunde mit mir wünschen. Der größte Teil hat vorher noch nie Yoga gemacht und nutzt die Gelegenheit es in meinen Stunden einmal auszuprobieren. Da freue ich mich sehr darüber, dass meine Teamleitung und die Therapiegesamtleitung hinter mir stehen und mich in meiner Arbeit als Yogalehrerin unterstützen. Nur so konnte ich in der Klinik Yoga für MS-PatientInnen anbieten.
Leider ist die Nachfrage für meine Onlinestunde, wo Teilnehmer und Teilnehmerinnen auch nach dem klinischen Aufenthalt, Yoga von zuhause aus mit mir üben können, noch nicht so groß. Ich denke da gibt es noch viel Scheu vor dem Onlinesetting vor dem Computer und der damit verbunden Technik oder die Termine passen einfach nicht. Meine Seniorengruppe allerdings vor Ort wird von einer eingefleischten Gruppe von 5 Frauen besucht, die ich schon über ein halbes Jahr unterrichten darf. Hinzu kommen neuerdings Kinderyogastunden, denn es ist nur sinnvoll Yoga schon im Kindergartenalter zu beginnen, damit sie zu friedlichen, achtsamen, naturverbundenen Menschen heranwachsen, die unser Planet so dringend braucht. Würden alle Menschen Yoga machen, wäre diese Welt ein anderer Ort.
Mehr Infos zu meiner Arbeit findet ihr auf www.yogainklusion.com