Allein in Deutschland leben Schätzungen zufolge etwa vier Millionen Menschen mit einer der weltweit bis zu 8.000 unterschiedlichen Seltenen Erkrankungen (SE), in der gesamten EU geht man von 30 Millionen Menschen aus. Gemeinsam ist allen Seltenen Erkrankungen, dass sie meist chronisch verlaufen, mit Invalidität und/oder eingeschränkter Lebenserwartung einhergehen und häufig bereits im Kindesalter zu Symptomen führen. Etwa 80 % der Seltenen Erkrankungen sind genetisch bedingt oder mitbedingt, selten sind sie heilbar. Sie weisen einige Besonderheiten auf:
Dazu zählen vordringlich die geringe Anzahl an Patientinnen und Patienten mit einer Seltenen Erkrankung, eine die Durchführung von Studien erschwerende überregionale Verteilung und eine geringe Anzahl von räumlich verteilten Expertinnen und Experten, die an einer Seltenen Erkrankung arbeiten und die Versorgung sicherstellen. Auch sind die Wege zu guten Behandlungs- und Versorgungsmöglichkeiten häufig nicht klar ersichtlich. Dies führt auch dazu, dass die Einzelnen sich oft mit ihrer Erkrankung alleine gelassen fühlen und eine Diagnose in der Regel erst deutlich verzögert gestellt wird.
Die Seltenheit der einzelnen Erkrankungen erschwert aus medizinischen und ökonomischen Gründen häufig die Forschung und die medizinische Versorgung der betroffenen Patientinnen und Patienten. Diagnose und Therapie der Erkrankungen stellen alle Beteiligten (Betroffene, Angehörige, medizinisches, therapeutisches und pflegerisches Personal) vor besondere Herausforderungen.
(Quelle Bundesgesundheitsministerium 2019)
Chronische und seltene Erkrankungen von Kindern:
Mindestens 15 Prozent aller Kinder und Jugendlichen in Deutschland leiden unter chronisch körperlichen oder psychischen Erkrankungen, beispielsweise Verhaltensstörungen, Allergien oder Diabetes. Im weiteren Lebensverlauf steigt die Zahl derjenigen, die mindestens einmal von einer psychischen Erkrankung wie Depression oder Angststörungen betroffen sind, auf etwa 40 Prozent.
(Quelle: Bundesforschungsministerium 2019)
Das Kindernetzwerk:
Das knw ist der Dachverband der Selbsthilfe von Familien mit Kindern und jungen Erwachsenen mit chronischen Krankheiten und Behinderungen und damit die Interessenvertretung von rund 230 Mitgliedsorganisationen – davon 150 bundesweite rund 200.000 assoziierte Mitglieder.
Wir helfen mit unseren Datenbanken mit rund 60.000 vernetzten Adressen:
- bundesweite und regionale Elternorganisationen
- betroffene Eltern
- Kliniken und Zentren
- Stiftungen
- patientenorientierte Krankheitsbeschreibungen und/oder Erst-Info-Pakete
- Telefon- und eMail-Beratung
- medizinischer Beraterkreis (individuelle Beratung bei besonderen Fällen)
- Auszeitwochenenden für Mütter und Väter
- Akademie: Seminarangebote rund um die Selbsthilfe
Versorgung der Kinder in Intensivstationen:
Im November 2018 waren rund 20 Prozent der möglichen Intensivbetten wegen fehlender Pflegekräfte gesperrt. Demnach gaben 25 Prozent der befragten Stationen an, 2017 25 bis 50 Patienten wegen fehlender Bettenkapazitäten nicht aufgenommen zu haben. Weitere 25 Prozent mussten sogar 50 bis 100 Kinder ablehnen. 72 Prozent der befragten Stationsleiter gaben an, dass in ihrer Region ein Defizit an Intensivbetten für Säuglinge und Kinder herrsche. „Wir steuern seit Jahren offenen Auges auf dieses Problem zu und können nun in einem der reichsten Länder der Welt die flächendeckende Versorgung von kritisch kranken oder schwer verletzten Kindern nicht mehr sicher gewährleisten”, sagte der DIVI-Vertreter Dr. med. Florian Hoffmann, Oberarzt auf der Interdisziplinären Kinderintensivstation am Dr. von Haunerschen Kinderspital der Ludwig-Maximilians-Universität München. Der Pflegepersonalmangel gefährde die Patientensicherheit und Versorgungsqualität kritisch kranker und verletzter Kinder, insbesondere in großen Ballungsräumen.
(Quelle: Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI): Umfrage der DIVI-Sektion „Pädiatrische Intensiv- und Notfallmedizin” unter Kinderintensivstationen in Deutschland. Ärzteblatt Nov. 2018)
In diesem Punkt stellt sich das knw hinter das Recht der UN-Kinderrechtskonvention von 1989, das seit 1992 auch in Deutschland in Kraft getreten ist: „Die Vertragsstaaten erkennen das Recht des Kindes auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit an sowie auf Inanspruchnahme von Einrichtungen zur Behandlung von Krankheiten und zur Wiederherstellung der Gesundheit.”
Das knw fordert
- das vollständige Umsetzen der UN-Kinderrechtskonvention hin zu einer bestmöglichen (und nicht nur ausreichenden) gesundheitlichen Versorgung gerade von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit chronischen und seltenen Erkrankungen und/oder Behinderung, in Armut oder mit Migrationshintergrund
- das Einsetzen eines ähnlich dem Wehrbeauftragten mit Befugnissen und Fachkräften ausgestatten unabhängigen Kinderbeauftragten im Bundestag zur Stärkung des Kinderbewusstseins
- mehr ganzheitliche Ansätze in der Pädiatrie, die bereits im Studium nicht nur das auf maximale Kostensenkung gerichtete Arbeiten und reine Organfächer in den Fokus stellen. Stattdessen brauchen wir mehr finanziell abgesicherte Versorgungsstrukturen, in denen auch nicht ärztliche Berufe und das Erfahrungswissen der Eltern-Selbsthilfe stärker zum Tragen kommen
Ökonomisierung in der Kindermedizin:
Seit 1991 hat jede 5. Kinderklinik schließen müssen: Während Fallzahlen stiegen und sich die Verweildauer halbierte, stieg der Leistungsdruck, zusätzlich zum Personalmangel. Deswegen meldeten sich immer mehr Kliniken von der Versorgung ab. Konsequenz: Versorgungsengpässe und längere Anfahrtswege, erhöhtes Gefährdungspotential vor allem bei seltenen Erkrankungen
(Quelle: DÄB 30.11.2018)
Ein durchschnittlicher direkter Patientenkontakt auf Station betrug im Durchschnitt 35 % der Arbeitszeit. (Quelle: DÄB 2017)
In diesem Punkt fordert das knw:
- Erhalt und Erweiterung von Krankenpflegeschulen sowie besondere Anreize für Schulen, die sich nicht aus Verantwortung ziehen, sondern sogar aufstocken, um dem Mangel zu begegnen.
- Wiedergewinnung bereits qualifizierter Kräfte durch bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf (z.B. familienfreundliche Schichtpläne, krankenhauseigene Kitas)
- Sicherstellung der Finanzierung von strukturierten Austauschmöglichkeiten (z.B. Fallbesprechungen, Qualitätszirkel, Supervision Kriseninterventionsprogramme).
- Festlegung eines verbindlichen Mindest-Personalschlüssels für die Kinderintensivpflege, bis hin zu einem 1 zu 1-Schlüssel bei besonders pflegeintensiven Konstellationen
Inklusion von Kindern mit Behinderungen:
Die Inklusion in Deutschland kommt besonders im Förderschwerpunkt Lernen voran: In allen Bundesländern gehen immer weniger Kinder mit Lernhandicaps auf separate Förderschulen. Bundesweit geht die Exklusionsquote zurück – es gibt allerdings große regionale Unterschiede.
Deutschlandweit geht die Exklusion zurück. Der Anteil der Schüler, die in separaten Förderschulen lernen, nimmt demnach ab. Gingen 2008 noch 4,9 Prozent aller Kinder auf eine Förderschule, waren es 2017 nur noch 4,3 Prozent. Zudem nimmt die Spannweite zwischen den Bundesländern mit den höchsten und niedrigsten Exklusionsquoten ab: Während im Schuljahr 2008/09 die Exklusionsquote in Mecklenburg-Vorpommern noch um 5,7 Prozentpunkte höher lag als in Schleswig-Holstein, sank die Differenz im Schuljahr 2016/2017 auf 4,8 Prozentpunkte – zwischen Bremen (Exklusionsquote 1,2 Prozent) und Mecklenburg-Vorpommern (6 Prozent).
Demnach besuchen insbesondere im Förderschwerpunkt Lernen in allen Bundesländern weniger Kinder Förderschulen. So sank die Exklusionsquote der Schüler mit Lernhandicaps bundesweit von 2,1 auf 1,3 Prozent. In Sachsen-Anhalt ist diese Entwicklung mit einem Rückgang um 2,6 Prozentpunkte besonders stark ausgeprägt. Deutschland findet damit Anschluss an internationale Standards: In den meisten anderen Ländern werden Kinder mit Lernschwierigkeiten schon seit langem in den Regelschulen unterrichtet.
Bei der Inklusion sehr unterschiedliche Entwicklungen in den BundesländernFür Schülerinnen und Schüler mit den Förderschwerpunkten geistige oder körperliche Entwicklung hat sich hingegen zwischen 2008 und 2017 überall wenig verändert, bei Schülern mit sozial-emotionalen Handicaps gibt es heute sogar mehr Exklusion.
(Quelle: BertelsmannStiftung 2018)
Deshalb fordert das knw:
- das Erarbeiten einer gemeinsamen differenzierten Haltung zur Inklusion innerhalb der Verbände der Menschen mit Behinderungen unter Federführung der Bundesbeauftragten für Behinderungen. Das Kindernetzwerk wird hierzu einen mit seinen Mitgliedsverbänden erarbeiteten Vorschlag unterbreiten.
- die Beteiligung von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien bei Entscheidungsprozessen in allen versorgungsrelevanten Angelegenheiten.
- länderübergreifend vereinheitlichte Regularien für den Nachteilsausgleich in Schule und Ausbildung z.B. durch das Einbinden von Theorie und Praxis des Nachteilsausgleichs in die Aus- und Fortbildung von Lehrkräften.
Diesen Text durfte ich mit Genehmigung von Kindernetzwerk veröffentlichen, vielen dank dafür.
Quelle: Kindernetzwerk