Gastbeitrag von Bianka Held von Heldenhaft-coaching.de

Die Sache mit dem Sprechen

Sprechen, Zuhören, Gespräche führen. Verbindung spüren. Sprache, ob gesprochen oder
geschrieben, ist das zentrale Kommunikationsmittel unserer Welt. Es schafft Freunde, Freude und
Verbindung, vermittelt Wissen und hilft uns, Bedürfnisse mitzuteilen. In einem fremden Land, ohne
Sprachkenntnisse sind wir sprachlos, orientierungslos, oft hilflos. Was steht auf den Schildern,
was wurde zu mir gesagt, wieso schauen mich nur alle an? Unsicherheit, Hilflosigkeit, Einsamkeit.
Das Gefühl des nicht verstanden Werdens. Solche Gefühle und Situationen sind Menschen mit
aktiver Verbalsprache im Alltag eher fremd. Noch vor der Entwicklung der eigentlichen Sprache
handeln und kommunizieren wir intuitiv. Wir lächeln, wenn wir angelächelt werden, greifen Hände
die uns gereicht werden, zeigen auf Dinge die wir haben möchten. Wir handeln reziprok, also
wechselseitig, ohne darüber nachzudenken.
Es gibt Behinderungsbilder, die diese Entwicklung erschweren. Beispielsweise zeigen Kinder im
Autismusspektrum seltener soziales Lächeln oder handeln reziprok, also wechselseitig. Kinder mit
komplexen Behinderungen zeigen motorisch bedingt wenig Mimik oder haben Schwierigkeiten zu
zeigen und angebotene Gegenstände zu greifen. Gehörlose Kinder bekommen keine
Rückmeldung über ihre eigene Lautsprache stellen das babbeln und lallen, auch als Reaktion auf
Ansprache ein. Wechselseitigkeit, wozu Mimik, reziprokes Handeln und die Lallphase gehören
sind jedoch wichtige Bausteine der Sprachentwicklung. Diese können durch eine Behinderung
beeinflusst werden.
In Deutschland leben, nach den Zahlen des statistischen Bundesamtes 7,8 Millionen Menschen
mit einer eingetragenen Schwerbehinderung, das sind 9,4% der deutschen Bevölkerung. Über
300.000 Menschen in Deutschland haben eine eingetragene Behinderung der Sprache und des
S p r e c h e n s ( v g l . https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/06/
PD22_259_227.html;jsessionid=204A7E2BF14B56EEF6D58568123D8A14.live741). Hierbei werden die Menschen,
welche aufgrund anderer Behinderungen, wie beispielsweise einer körperlichen Behinderung,
nicht oder nicht verständlich sprechen können, nicht berücksichtigt. Dabei treten
Sprachstörungen häufig als Begleiterscheinung auf, unabhängig davon, ob die Person körperlich,
geistig oder seelisch als behindert eingestuft wurde.
Hier gilt es, andere Möglichkeiten der Kommunikation zu finden und diese so barrierearm wie
möglich zu gestalten.
Wie entwickelt sich Sprache?
Viele Modelle berücksichtigen rein die
Entwicklung des Wortschatzes und der
Grammatik. Umweltfaktoren oder
vorsprachliche Entwicklungen werden
meist außen vor gelassen. Schließt man
diese Faktoren mit ein, bekommt man
einen
ganzheitlichen Blick auf die Sprach- und
Kommunikationsentwicklung. Sehr
anschaulich zeigt dies das Modell des
Sprachbaums nach Wolfgang Wendland.
Https://hannover-logopaedie.de/kinder/der-sprachbaum/.
Hier sieht man, dass die Grundlage der Sprache in sensorischen Reizen und deren Verarbeitung
liegt. Jeder sonderpädagogische Schwerpunkt ist als eine Wurzel aufgeführt, folglich wird
Sprache durch jede Form der Behinderung potentiell beeinflusst.
– Hören: durch das Hören kann die Umwelt mit ihren Lauten wahrgenommen werden. Sprache
kann vernommen und nachgeahmt werden. Kinder nehmen nicht nur Sprache von anderen
wahr, sondern auch die eigene und beginnen, die Möglichkeiten der eigenen Stimme durch
Kreischen und Quietschen zu entdecken. Laute der Umgebung geben gerade im Kindesalter
Sprachanlässe, wie beispielsweise das Martinshorn, der bellende Hund oder fahrende Autos.
Werden die Laute der Umgebung nicht durch Hören wahrgenommen oder kann das Gehörte im
Gehirn nicht verarbeitet werden, werden die Hörreize nicht gespiegelt und die verbale
Sprachentwicklung setzt nicht ein.
– Hirnreifung/geistige Fähigkeiten: Reize, die über die Sinne wahrgenommen werden, müssen im
Gehirn weiter verarbeitet werden. Geschieht dies nicht, kommt zwar ein Ton im Ohr an, jedoch
kann dieser vom Gehirn nicht verknüpft und interpretiert werden. Dies kann alle Sinne betreffen.
Ist also die Hirnentwicklung durch eine angeborene oder auch erworbene Behinderung
verzögert oder fehlen bestimmte Teile des Gehirns bzw. sind beschädigt, kann die Sprache
beeinflusst werden. Ist das Sprachzentrum im Hirn betroffen, wie es bei Schlaganfällen
vorkommen kann, verschwindet auch bereits erworbene Sprache wieder. Jeder Bereich im
Gehirn hat einen Einfluss auf die Sprache, manche mehr und manche weniger.
– Sehen: Die oben genannten Hörreize werden häufig auch gesehen. Wir verbinden also das
Gehörte mit einem weiteren Sinneskanal und verbessern so die Speicherung und
Repräsentation im Hirn. Gerade bei Gehörtem kann es hilfreich sein, Mundbilder zu erkennen
und diese imitieren zu können. Auch ohne den Hörreiz kann ein Kind visuell Mundbilder sehen
und spiegeln. So übt es seine vorsprachlichen mundmotorischen Fähigkeiten. Fehlt das Sehen,
sind die Motorik und die Bildung des Wortschatzgedächtnisses beeinflusst.
– Bewegung/Motorik: Das Bilden von Lauten erfordert bestimmte mundmotorische Fähigkeiten,
welche sich nacheinander ausbilden. Einfache Laute, wie die Vokale, gelingen zuerst, während
das Bilden komplexer Laute, wie ein /k/, länger dauert. Eine falsche Aussprache in der Zeit des
Lauterwerbs ist gehört zur Sprachentwicklung dazu und ist völlig normal. Um diese
motorischen Fähigkeiten zu erlangen, trainieren Kinder schon von Klein auf ihre vorsprachlichen
Fähigkeiten. Dazu zählen das Saugen, Schlucken, Kauen und auch die Atmung. Sind
vorsprachliche Fähigkeiten verlangsamt oder beeinträchtigt, kann dies die Entwicklung der
Sprache hemmen und beeinflussen, was sich, defizitär ausgedrückt, durch folgende
Symptomatiken zeigt:
▪ Störung der Nahrungsaufnahme
▪ stark eingeschränkter Wortschatz
▪ stark eingeschränktes Sprachverständnis
▪ stereotyper Gebrauch sehr weniger und häufig unverständlicher Lautgebilde
▪ verwaschene, undeutliche Aussprache
▪ Dysgrammatismus
▪ Schwierigkeiten der Pragmatik wie das Verstehen von Ironie, Sprechen und Zuhören im
Wechsel, Interpretieren von nonverbalen Signalen, uvm.
Auch das Tasten und Zeigen ist teil der Motorik. Die Zeigegeste ist eine der ersten
Kommunikationsmittel, welche Kinder nutzen. Sie zeigen auf Dinge, die benannt werden sollen
oder die sie haben wollen. Diese Dinge werden beispielsweise von den Eltern benannt. So
wird ein großer Teil des passiven Wortschatzes erlernt und auch erlebt, sodass Kommunikation
einen Sinn hat. „Ich zeige auf etwas und bekomme es. Ich schiebe etwas weg und muss nicht
damit spielen.” Ebenso wichtig in der Motorik und der Sprachentwicklung sind Nicken und
Kopfschütteln als frühe Repräsentanten für Ja und Nein. Man sieht also: Motorik hat einen
großen Einfluss auf die Sprachentwicklung.
– Sozial-emotional: das soziale Lächeln ist ein Teil des Erwerbs der Kommunikation, indem
Kinder die Reziprozität, also Wechselseitigkeit in der Kommunikation, erkennen. Auf ein Lächeln
wird mit Lächeln geantwortet. Diese Wechselseitigkeit zieht sich durch jede Phase der
Kommunikation, denn ohne ein Gegenüber, welches meine Kommunikationsintention aufnimmt
und interpretiert, kann Kommunikation nicht erfolgreich sein. Je öfter eine
Kommunikationsintention nicht wahrgenommen und beantwortet wird, desto besser ist die
Sprachentwicklung. Je weniger eine Kommunikationsintention nicht wahrgenommen und
beantwortet wird, desto eher stagniert die Sprachentwicklung. Es gibt Menschen, die
Emotionen wie Lächeln nicht erkennen oder interpretieren können. Es gibt auch Menschen die
nicht Zeigen, keinen Blickkontakt halten und die Wechselseitigkeit der frühen Kommunikation
nicht erlernen.
Für all diese Bereiche der frühen Sprachentwicklung ist ein Gegenüber notwendig, wie schon die
Reziprozität zeigt. Doch ein Gegenüber an sich reicht für eine gelungene Sprachentwicklung nicht
aus. Die Gießkanne des Modells zeigt, dass Blickkontakt von Nöten ist, Sprachanlässe sollten
geschaffen und das Gesprochene, Gezeigte und Gelallte sollte aufgegriffen werden. Je mehr
positive Verstärkung Kinder in der Sprache erhalten, desto besser.
Kommunikation mit Behinderung:
Kommunikation ist ein menschliches Grundbedürfnis, wir streben nach Zugehörigkeit und dem
Gefühl des Verstanden werdens. Eben dieses muss auch Menschen mit Behinderung ermöglicht
werden.
Kommunikation kann allerdings ohne Sprache erfolgen, was häufig im Alltag geschieht, nur sind
wir uns darüber oft nicht bewusst. Ein Lächeln, die Arme verschränken, die Schultern hängen
lassen, winken, gezieltes wegschauen, rot werden, unruhig sein. Mimik, Blickkontakt und
Körperhaltung. All das sind nonverbale Signale, welche kommunikativ interpretiert werden
können. Sie zeigen entweder unseren Willen der Kommunikation (winken), unsere Freude (lächeln)
oder unser aktuelles Befinden (rot werden, unruhig sein, Schultern hängen lassen,…). Gerade
einander vertraute Personen kommunizieren häufig nonverbal über Blicke und Berührungen.
Gestik unterstützt unsere Sprache, sie kann diese untermalen, Gesprochenes abblocken und
Emotionen widerspiegeln. Gestik kann es sprachbeeinträchtigten Personen erleichtern, die
Sprache zu verstehen und kann gleichzeitig auch einfache Sprache ersetzen. Über Babygebärden
können Kinder, welche die Lautsprache noch nicht erworben haben, ihre Bedürfnisse ausdrücken.
Gestik kann weiterentwickelt werden und als Gebärdensystem komplexe Sprache untermalen und
ersetzen. Man kennt diese Form der Kommunikation von gehörlosen Menschen. Gebärden
wurden aber auch in abgewandelter und teils vereinfachter Form für Menschen mit komplexen
Behinderungen entwickelt, so können Schlagwörter als Gebärden aneinandergereiht werden und
ohne grammatische Formalien als einfache Sprache dienen. Schau doch mein Hände an und die
GuK Gebärden sind Beispiele hierfür.
Gestik kann jedoch für Menschen mit komplexen körperlichen Behinderungen ebenso schwer zu
erwerben, sein wie Sprache. Was dann?
Bildgestützte Kommunikation wird häufig im Bereich der körperlichen und geistigen Behinderung
genutzt und kann in seiner Komplexität an jeden Entwicklungsstand angepasst werden.
Bilder von Gegenständen oder Handlungen werden hier dargeboten und ein Blick oder eine Geste
darauf wird als Kommunikation wahrgenommen. Funktioniert diese Reaktion auf Bilder, wird für
jede Situation im Alltag eine Auswahl an Bildern geschaffen mit Hilfe derer die Person
kommunizieren kann. Um sich auch mit Anderen verständigen zu können wird langsam vom Bild
weg hin zum Symbol oder Piktogramm gegangen. Hier gibt es einheitliche Systeme welche man
ausdrucken kann (PECS, Boardmaker, Metacom), damit auch andere Personen, Schulen und
Einrichtungen die dargestellten Symbole erkennen.
Um neben dem visuellen auch einen auditiven Kanal anzubieten, gibt es Geräte, in welche die
Bilder gelegt werden und mit einer passenden Tonspur versehen werden können. So kann die
kommunizierende Person das Bild antippen und es ertönt die passende Lautsprache. Auch diese
Geräte gibt es in verschiedenen Stufen der Komplexität. Von nur einem Bild hin zu 32 Bildern.
Jede Situation, wie beispielsweise das Frühstück, wird so mit den passenden Bildern
(Essensauswahl) versehen und die benutzende Person kann kommunizieren, was sie möchte.
Diese Art der Kommunikation kommt natürlich an Grenzen, da keine Grammatik vorhanden ist
und für jede Situation die Bilder vorbereitet sein müssen. Ebenso lassen die Geräte nur zwischen
4 und 8 Situationen auf dem Speicher zu, neue Situationen können also nicht ohne weiteres
aufgenommen werden.
Digitale Kommunikationsgeräte lösen dieses Problem. Sie haben als App Sprachprogramme (z.B.
GoTalk, Metatalk,..) und lassen eine unbegrenzte Auswahl an Bildern zu, welche automatisch von
Computerprogrammen ausgesprochen werden. Hier lässt sich die Komplexität erweitern und die
Sprache von Bildern mit Einwortsätzen durch Hinzufügen grammatische Strukturen bis hin zu
komplexer Sprache ausweiten. Diese Art der Kommunikation gibt auch Menschen mit
Wahrnehmungsproblematiken und Problemen der Reizverarbeitung Kanäle, um zu
kommunizieren. So können beispielsweise Menschen im Autismusspektrum oder mit seelischen
Behinderungen Formen der Kommunikation finden, welche ihnen möglich sind.
Damit die Geräte auch barrierefrei angesteuert werden können, gibt es unzählige Möglichkeiten,
diese zu bedienen. Von Tippen über Tasten und Augensteuerung bis hin zu speziell auf die
kommunizierende Person angepasste Methoden wie der Ansteuerung durch einen einzigen
Muskel in der Wange, wie es Stephen Hawking tat.
Kommunikation ist vielseitig, Kommunikation ist individuell, genauso sollte sie betrachtet, gelernt
und gelehrt werden, um jeden daran teilhaben zu lassen.
Wendet euch an die jeweiligen Beratungsstellen und Fachstellen für Unterstützte Kommunikation
falls ihr Hilfe benötigt.